Mittwoch, 31. Juli 2013

Im Fluss

Nichts in dieser Welt ist statisch, nichts besteht unverändert. Es liegt in der Natur aller Erscheinungen, sich beständig im Wandel zu befinden. Dieses sich wandeln ist an sich wertfrei, nur unser menschlicher Geist klassifiziert die Geschehnisse und wertet sie. So meinen wir, einen qualitativen Unterschied zwischen dem, was wir Entwicklung nennen, und dem, was wir als Verfall oder Niedergang bezeichnen, zu erkennen und nennen das eine gut und das andere schlecht.
Willkommen in einer dualen Weltsicht, wo Gut und Böse, Erwünscht und Unerwünscht miteinander um die Vorherrschaft ringen. (Uns ist selbstverständlich eh klar, auf welcher Seite wir stehen, wenn es zum finalen Armageddon kommt...when the saints go marching in...)

Dein Pferd und Du, im gestreckten Galopp auf einem wunderbar federnden Feldweg zwischen üppigen Wiesen und Äckern. Immer schneller, wunderbar im Gleichklang, zwei Wesen, die wie eines agieren.
Galopp ist eine großartige Sache.

Dein Pferd und Du, im gestreckten Galopp auf einer wunderbar geteerten Bundesstraße zwischen üppig beladenen Lastwagen. Immer schneller, wunderbar im Gleichklang mit dem hysterischen Hupen der Autos, zwei Wesen die wie eines agieren...in ihrer Panik.
Galopp ist eine entsetzliche Sache.

Dieselben Akteure, dieselbe Aktion, anderes Bühnenbild, und schon hat sich die Bewertung ins glatte Gegenteil verkehrt. Eine Art pole swap der Wertigkeiten.

Blödsinn, hör ich dich sagen, natürlich ist das eine gut und das andere schlecht, bei dem einen hab ich Freude und das andere kann mich das Leben kosten! Was soll die dämliche Haarspalterei?

Hast recht, in diesem Fall ist es ja ganz deutlich, was dir gut tut und was vermutlich böse endet. In diesem Fall ist es absolut am Platz, das Gehirn einzuschalten und die Reitwegplanung zu optimieren.

Was aber, wenn unser Verstand, der alte Bürokrat, der immer alles mit den Parametern von gestern oder dem 14.10.1979 oder weiß der Himmel welchen veralteten Daten abgleicht, mit der selben - vermeintlichen - Klarheit über Dinge entscheidet, die sich ungleich komplexer und subtiler verhalten?
Was, wenn dein Hirn sich zum Richter aufschwingt über Dinge, von denen es nichts versteht und dir dabei weismacht, dass es absolut kompetent dazu sei, schließlich hat es dir mit dieser Methode ja schon oft genug den Hintern gerettet, zum Beispiel in Situationen siehe oben auf der Bundesstraße.

Ich glaube, dass wir uns bei den wichtigen seelischen Dingen unseres Lebens nicht auf unseren Verstand als letzte Instanz verlassen können. Er ist absolut brauchbar als Zulieferer von Information, er ist ein hervorragender zweiter Mann im Staat, aber als Herrscher taugt er rein gar nicht.
Denn er kann nie aus dem Moment heraus agieren. All seine Daten entstammen der Vergangenheit, all seine Bemessungen stützen sich auf bereits Bekanntes und sind damit unbrauchbar, um neues, unbekanntes Land zu entdecken.
Aber welche Instanz in uns ist dann befähigt, uns bei den wirklich großen Entdeckungen unseres Lebens, bei der Reise zu uns selbst anzuleiten?

Dummerweise kann ich dir auch keinen Namen nennen.

Manche nennen es "das höhere Selbst", aber das bedeutet auch nicht mehr als "das, was wir wirklich sind" und das sagt einem leider gar nichts, wenn man diesem Teil in sich noch nie begegnet ist, weil wir dem Verstand geglaubt haben, dass wir er sind und dass außerhalb seiner engen Grenzen nichts existiert.
Ich weiß nur, das diese Instanz über unsere Emotion und unsere Intuition mit uns kommuniziert.
Und ich habe gelernt, dass ich ihre Nachrichten nur dann dechiffrieren kann, wenn ich mich ganz auf den Moment einlasse und ohne zu werten wahrnehme, was in diesem Augenblick geschieht.
Manche nennen das "im Fluss sein", andere sprechen vom Tao. Es gibt viele Bezeichnungen.
Wie auch immer es genannt wird, du erkennst es daran, dass das Gehirn ruhig ist und du alles in dir und um dich herum mit einer unglaublichen Klarheit wahrnimmst. Und in diesem Augenblick gibt es keinerlei Bewertung, keine Trennung; alles ist aus einem Guss.

Ich sage nicht, dass unser Verstand und unser Gehirn keinen Zweck oder keine Bedeutung hätten. Ich finde es auch absolut angebracht, die Entscheidungsmöglichkeit zu haben zwischen Dingen, die ich für gut und anderen, die ich für schlecht für mich befunden habe.
Aber alles zu seiner Zeit.
Vor der Bearbeitung und potentiellen Verzerrung durch unseren Kopf sollte immer ein Moment der unverfälschten Wahrnehmung stehen, in dem ich einfach in der Situation, in ihrem Verlauf, im Fluss eben, BIN, und NICHT darüber DENKE, was mir da gerade widerfährt.

Die Pferde lieben es, wenn wir uns in diesem Zustand befinden oder uns nur daran annähern.
Ich denke, sie haben den Fluss einfach nie verlassen, nicht einmal wenn sie leiden.
Für sie ist immer alles mitten im Leben.