In Zeitschriften, Internetforen und im ach so beliebten Stallgassentratsch ist oft von den sogenannten Untugenden des Pferdes die Rede. Unter diesem Begriff subsumieren so unterschiedliche Verhaltensweisen wie Koppen, Weben, Pullen, auf das Gebiß legen, Zungenstrecken, Durchgehen, Steigen, Beissen, Schlagen u.v.m., kurz gesagt alles Verhaltensweisen, die der Mensch im Umgang mit dem Pferd nicht brauchen kann. Dass die meisten dieser "Fehler" von Menschen ausgelöst oder zumindest im Kontakt mit dem Menschen begründet sind, hindert viele nicht daran, die "Schuld" im miesen oder schwachen Charakter des Pferdes zu sehen. Was für ein Schwachsinn - und eine himmelschreiende Ungerechtigkeit obendrein! Aber ich möchte mich gar nicht weiter mit den Untugenden des Menschen abgeben, viel lieber möchte ich mich mit der Tugend beschäftigen - bei Tier und Mensch.
Tugend ist ein seltsam altmodisch anmutender Ausdruck, über den man heutzutage hauptsächlich in der älteren Literatur oder in leicht moralinsauren, religiös angehauchten Werken stolpert.
"Tugend" ist unmodern.
Ich habe vor längerer Zeit einmal einen Artikel gelesen (leider hab ich den Autor vergessen und ich kann mich partout nicht mehr erinnern, wo er erschienen ist - sorry!), in dem sich der Verfasser Gedanken zur Tugend gemacht hat und zu dem Schluß kam, dass in unserer modernen Gesellschaft keineswegs mehr Tugend herrscht als z.B. in einer mittelalterlichen Gemeinschaft - sondern lediglich andere "Tugenden" als erstrebenswert angesehen werden.
Die Tugenden werden einfach mit den Zeitaltern ausgetauscht. Nicht vermehrt.
War dem mittelalterlichen Ritter Treue, Ehre und Mut das höchste Gut, dass jeder anstreben musste, so hatte er gleichzeitig keinerlei Bedenken, seinem Feind eins über den Schädel zu ziehen; das Leben eines unwürdigen Wichtes hatte kaum Wert oder Bedeutung.
Heute sind wir wahnsinnig stolz auf unsere humanitäre Einstellung, wo das Leben des Einzelnen angeblich so viel gilt. (Zumindest dann, wenn der entsprechende Einzelne nicht das Pech hat in einem Land geboren zu sein, dessen politisches oder wirtschaftliches Gebaren unseren Interessen zuwider zu laufen...)
Wir töten unsere Feinde nicht mehr (so leicht). Aber sie in den Medien so richtig fertig zu machen, sie mit Dreck zu bewerfen (ob wahr oder unwahr, spielt dabei eine untergeordnete Rolle), sich zu drehen und zu wenden wie es einem gerade in den Kram passt, dass finden viele gar nicht verwerflich. Jemanden in einer schwierigen Phase im Stich zu lassen, von dem man jahrelang profitiert hat, gilt nicht als unanständig, sondern gar als geschickt; man will ja schließlich "weiterkommen" im Leben. Jedem anständigen Rittersmann käme dabei das Kotzen.
Das bringt mich zu der Frage, ob es soetwas wie "Grundtugenden" gibt, unveränderliche, nicht austauschbare und nicht ersetzbare Parameter, die jede Seele erfüllen muss, wenn sie sich entwickeln möchte.
Ich glaube, ja.
Diese Tugenden haben zwar in jeder Spezies ihre eigenen, ganz typischen Ausprägungen, aber wir können voneinander lernen.
Die Treue des Hundes zum Beispiel ist sprichwörtlich. Ein Mensch, der keine Treue kennt, kann weder Freunschaft noch Liebe oder Familie schätzen. Er kann ja nicht einmal sich selbst treu bleiben, geschweige denn irgendwelchen Grundsätzen oder ethischen Verbindlichkeiten. Er dreht sich mit dem Wind. Was kurzfristig zum Erfolg zu führen scheint, ist langfristig der Untergang. Wenn du kein "treuer Freund" bist, wird sich auch für dich keiner finden, der dich ohne einen Gedanken an persönlichen Profit aus dem Dreck zieht, wenn du´s nötig hast. Das Leben ist absolut folgerichtig und korrekt, man erntet immer früher oder später, was man sät!